Storylistening – Wenn aus Fragen Geschichten werden
Oberösterreichs Kreativ- und Kommunikationsbranche einem Paradigmenwechsel auf der Spur.
Laut + bunt = Erfolg. Das galt in Werbung und Kommunikation über Jahrzehnte als ungeschriebenes Gesetz. Doch in Zeiten permanenter Reizüberflutung, einer subjektiv dauerhaften Beschleunigung unserer Welt und dem Zusammentreffen tiefgreifender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen funktioniert diese Erfolgsformel so nicht mehr. Das “Netzwerk Werbung“ lud am 13. März mit der Organisationsentwicklerin Ana-Laura Lemke zum Denkfrühstück ein. Um nach einem zeitgemäßen Erfolgsrezept für die Branche zu suchen. Ist Storylistening die Lösung, das neue Gegenmodell zum Storytelling? Braucht es statt starker Ansagen die richtigen Fragen, um die Herzen der Menschen zu erobern? Und stehen wir wirklich vor einem Paradigmenwechsel in Werbung und Kommunikation?
„WIR SIND STORYTELLING-ANIMALS!“
„Storytelling, ok, das kennt man. Aber Storylistening?“ Christoph Schumacher, Obmann der Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation der WKOÖ, stellt bewusst provokant eine Gegensätzlichkeit der beiden Ansätze in den Raum. Sie wird sich später auflösen.
„Ja, früher musste es in der Werbung und der Marktkommunikation möglichst laut und trashig sein. Und heute? Heute zählen Glaubwürdigkeit, Authentizität. Wie schaffe ich Nähe zum Kunden, zu den Geschäftspartnern. Und wie bilde ich Vertrauen? Das sind zentrale Fragen, die neue Antworten brauchen“
Über 350 Gäste sind der Einladung zum Denkfrühstück verteilt auf Main Stage, 13 Hosts und in den Livestream gefolgt. Mit der HLW für Kommunikations- und Mediendesign der Kreuzschwestern in Linz (KMD) wurde als Hauptveranstaltungsort und Kooperationspartner bewusst ein Ausbildungshotspot der Branche gewählt. Die Schüler der KMD waren in Sachen Organisation, Fotografie, Film, Schnitt und Liveübertragung maßgeblich am Erfolg dieser Veranstaltung beteiligt.
SPECIAL GUEST ANA-LAURA LEMKE
Die Top-Speakerin nimmt die inhaltliche Steilvorlage von Christoph Schumacher aus seinem Introstatement volley auf und erzählt, wie das Storylistening für sie persönlich zur Triebfeder Ihres Coachings wurde.
Ein Workshop mit Führungskräften vor einigen Jahren. Plötzlich steht er an der Kippe. Nichts geht mehr. Abrechen? Weitermachen? Aber wie? Ana-Laura Lemke entschied sich damals zu einer intensiven Intervention: Sie teilte die Führungskräfte in 2er-Teams. Und gab jedem die Aufgabe, dem anderen in zwei Minuten zwei Fragen zu beantworten: „Wann haben Sie sich das letzte Mal wirklich gehört gefühlt? Und was hat das bei Ihnen ausgelöst?“ Die ersten Reaktionen sind verhalten. Doch plötzlich brechen die Dämme. Die Führungskräfte verließen ihre Rollen und waren von einer Sekunde auf die andere zutiefst authentisch, offen. Bewegt und berührt.
Ana-Laura Lemke war damals überrascht und überwältigt, welche Reaktionen sie mit klaren, starken Fragen ausgelöst hatte. „Wir wissen, wie wirkungsvoll Geschichten sein können, wie sie Gefühle auslösen und neurochemisch nachweisbar bewegen. Geschichten sind einfach fix in unserer DNA verankert. Sie waren schon lange vor Erfindung der Schriften für uns Menschen wichtig, um uns mitzuteilen, uns selbst zu definieren und kollektive Einheiten zu bilden“, betont Lemke. „Ja, wir sind storytelling animals! Doch das Storytelling braucht heute mehr, um wirksam zu sein. Es braucht Substanz. Und die muss von jenen kommen, die wir mit unseren Geschichten erreichen wollen.“
Um selbst die richtigen und wirkungsvollen Geschichten erzählen zu können, müsse man vorab die Erlebnisse, Erfahrungen und Sichtweisen jener hören, die man erreichen wolle. Damit ist man mitten im Storylistening. Und das hat nichts mit einem banalen Abarbeiten von Fragen zu tun. Storylistening ist vielmehr eine Haltungs- und eine Verhaltensänderung. „Wer anderen zuhört, nimmt sehr oft seine eigenen Meinungen, Thesen und Ziele ins Gespräch mit. Antworten des Gegenübers werden so rasch selektiv wahrgenommen und subjektiv interpretiert“, so Ana-Laura Lemke. „Damit verliert man aber genau diese wertvolle Substanz, die eigentlich aus den Geschichten des anderen kommen sollten.“
„FRAGEN SIE NACH WENDEPUNKTEN. UND GEBEN SIE RAUM!“
Storylistening hat ein wesentliches Ziel: Man möchte herausfinden, was den anderen bewegt. Dafür braucht es Neugierde und Offenheit. Wertschätzung und Einfühlsamkeit. „Aus den Trainings der 1990er und 2000er Jahre kennt man den Spruch ‚Ich höre dich‘. Er ist ein Beispiel für oberflächliches und automatisiertes Zuhören“, ist Ana-Laura Lemke überzeugt. Storylistening sei genau das Gegenteil davon. „Es geht darum, Fragen zu stellen, auf die die Antwort nur eine Geschichte sein kann“, so Lemke. Das erfordere wirkungsvolle, starke Fragen. Keine nach bloßen Meinungen wie etwa: „Wie war dein Tag heute?“. Sondern es brauche Fragen nach Erlebnissen, nach einem Wendepunkt, einer Situation, die etwas verändert habe, wie etwa: „Was war heute ein besonderer Moment für dich? Und was hat er ausgelöst?“
Storylistening sei eine Form der Entschleunigung, man müsse dem Gespräch Zeit und Raum geben. Nur so könne sich der Gesprächspartner selbst reflektieren, sich öffnen und erzählen, was sie bzw. ihn bewegt. Die wirklich spannenden Impulse kommen meistens nicht zu Beginn eines Storylistening-Gespräches, sondern die Nachsätze seien interessant, wenn nach den ersten verkopften Aussagen die persönlichen Erfahrungen und Sichtweisen hervortreten. Dann kommen die Wünsche, Bedürfnisse, Träume – und damit der Stoff, den wir für wirksames und gutes Storytelling brauchen.
GUTES STORYTELLING BRAUCHT STORYLISTENING
Ana-Laura Lemke ist überzeugt: Für gutes Storytelling brauchen wir keine epischen Inhalte, sondern Mikrogeschichten, die vermitteln, was die Menschen bewegt. Und das erhält man nicht durch oberflächliche Recherche, sondern durch Zuhören mit Tiefgang: durch Storylistening. Doch wie kann man Storylistening in der Praxis mit vielen Menschen anwenden, zum Beispiel für die gesamte Belegschaft einer Firma oder für große Mitarbeitergruppen, wird Ana-Laura Lemke gefragt. „Man kann jede Gruppe in 2er-Teams aufteilen und so leicht Kleingruppen bilden, die parallel Storylistening durchführen. Oder man lässt das Storylistening über einen längeren Zeitraum laufen. Mein persönlicher Favorit sind die Kleingruppen“, hat Lemke eine klare Antwort parat.
Storylistening sei kein Paradigmenwechsel in Werbung und Kommunikation, aber ein wichtiger neuer integrativer Bestandteil eines erfolgreichen Storytellings, so Ana-Laura Lemke. Weil mit Storylistening eine Änderung der inneren Haltung verbunden ist, glaubt Lemke nicht an eine inflationäre und oberflächliche Verbreitung des Ansatzes.
„Das Wertvolle und der Zauber des Storylistenings wird bleiben“
In Gesprächen beim abschließenden informellen Ausklang hat man rasch den Eindruck: Das jüngste Denkfrühstück der Fachgruppe Werbung und Martkommunikation der WKOÖ hat einen starken Nachhall hinterlassen: Stoff für die bewegenden und berührenden Geschichten von morgen.
STIMMEN ZUM DENKFRÜHSTÜCK "STORYLISTENING"
„Die Märkte ändern sich – und das rasant. Schon 1999 hat das Cluetrain-Manifest herausgearbeitet, dass durch Internet und Digitalisierung die Marktmechanismen anders als früher funktionieren. Die einseitige Kommunikation nimmt klar an Bedeutung ab, die Beziehungen zwischen Unternehmen und Menschen rücken in den Fokus. Marktscheierei ist absolut überholt, Demut, Interesse und Wertschätzung gewinnen gerade auch im Marketing klar an Bedeutung. Ana-Lauras Impulse zu Storylistening haben mich in dieser Überzeugung noch weiter bestärkt.“
Ernst Demmel
„Das heutige Denkfrühstück hat mich wieder sehr inspiriert. Es ist wirklich super, dass die Wirtschaftskammer mit ihren Veranstaltungen ein breites und hochkarätiges Impulsprogramm anbietet. Früher musste man für ähnliche Angebote teilweise sogar ins Ausland reisen. Ana-Lauras Präsentation hat für mich unterstrichen, wie wichtig es ist, auf den Kunden einzugehen und ihm intensiv und vorbehaltlos zuzuhören. Das ist ein Ansatz, den wir seit Jahren pflegen. Diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen.“
Christine Weixelbaumer
„Es ist wichtig, immer wieder aus dem täglichen Arbeitsalltag auszubrechen, offener und freier zu denken und neue Wege zuzulassen. Das ist die Basis für nachhaltigen Erfolg.“
Erwin Krinninger
Werbeagentur Online
„Wir haben keine Ohrenlider, das sollten wir uns hinter die Ohren schreiben! Gehörtes kommt an und wirkt. Genau das kann man mit feinfühligem Storylistening erreichen. Wir müssen wieder mehr hinhören, den Menschen mehr Raum für Interaktion geben und nicht nur Botschaften senden, sondern auch Fragen stellen und zulassen.“
Christoph Schumacher
Obmann der WKOÖ Fachgruppe Werbung
„Uns ist wichtig, dass wir mit unseren Initiativen und Veranstaltungen das kollektive Bewusstsein der Branche sensibilisieren, schärfen und dazu beitragen, Kompetenzfelder gezielt weiterzuentwickeln. Die Impulse zu Storylistening sind wichtige Denkanstöße zu den Herausforderungen aber auch Chancen unserer Zeit.“
Thomas Oberngruber
Geschäftsführer der WKOÖ Fachgruppe Werbung
„Das Denkfrühstück bot für unsere Schülerinnen und Schüler der HLW für Kommunikations- und Mediendesign in mehrerer Hinsicht perfekte Möglichkeiten für aktive Beteiligung bei Organisation, Fotografie, Film, Schnitt und Liveübertragung der Veranstaltung für Gespräche mit potentiellen Arbeitgebern, für wertvollen Input zum Thema Storylistening für künftiges Handeln. Getreu einem Spruch aus Frau Lemkes Buch „The word ‚listen‘ contains the same letters as ‚silent‘“, fühle ich mich persönlich bestätigt in Gesprächen zu versuchen, bewusst aktiv tiefgehend zuzuhören.“
Stefan Schuhmann
Direktor HLW der Kreuzschwestern Linz